#43 Ist eine Korrektur im Sportrechtemarkt notwendig (und gesund)?
Fußballfans blicken in diesen Tagen gespannt auf die Vergabe von Medienrechten im europäischen Spitzenfußball: Während man intern bei den Big-5 Fußballligen das große Wachstumspotenzial zukünftig wohl vor allem außerhalb der eigenen Ländergrenzen lokalisiert, sieht man sich auf dem Heimatmarkt bereits einer gewissen Sättigung gegenübergestellt und von einer kleinen Korrektur, über Stagnation bis hin zum anhaltenden Wachstum scheint innerhalb der eigenen Ländergrenzen alles möglich zu sein Unabhängig von den anstehenden Ausschreibungsprozessen in Deutschland, Italien und Spanien stellt sich jedoch eine fundamentalere Frage: Ist eine Korrektur des Sportrechtemarkts notwendig, um den "Sport/Medien-Komplex" wieder auf gesunde Beine zu stellen und vor allem konkurrenzfähig im Kampf um die limitierten Ressourcen der Endkonsumenten im digitalen Zeitalter zu machen? Die Musikindustrie könnte ein Vorbild sein, befand sich allerdings auch in einer noch prisanteren Situation als es derzeit auf dem Sportmedienmarkt der Fall ist.
Argumente gibt es für alle Szenarien: Korrektur, Stagnation, Wachstum — unabhängig der aktuellen Situation rund um COVID-19
Trotz des Coronavirus und den damit schwerwiegenden und noch weitestgehend unabsehbaren Folgen für den "Sport/Medien-Komplex", hielt die Deutsche Fußball Liga (DFL) zunächst an dem straffen Zeitplan für die Rechtevergabe fest. Gemäß des bereits extern kommunizierten Zeitplan hat die DFL also zum Trotz der aktuellen Pandemie am 16. März 2020 die Ausschreibungsunterlagen an die zugelassenen Interessenten verschickt. Die Gründe waren durchaus nachvollziehbar: Es wird eine Zeit nach COVID-19 geben und ausschließlich diese ist für den in eineinhalb Jahren startenden Rechtezyklus relevant. Eine Verschiebung hätte zudem wohl lediglich für weitere Unsicherheit im Markt gesorgt — ohne dass es eine Garantie gegeben hätte, dass eine Verschiebung um weitere Monate den Ausschreibungsprozess in einem positiveren Marktumfeld hätte stattfinden lassen. Nichtsdestotrotz wird sich die fehlende kurzfristige Planungssicherheit im operativen Geschäft bei den potenziellen Bietern für die nächsten Monate zumindest nicht positiv auf die Gebote auswirken. Daher war es dann auch wenig überraschend, dass man sich Seitens der DFL kurze Zeit später zumindest bei dem anvisierten Enddatum des Ausschreibungsprozesses etwas Zeit verschaffen wollte: Ursprünglich plante man dem Präsidium und Mitgliedern am 11. Mai 2020 — wohl möglich auf dem Höhepunkt der aktuellen Pandemie und dem kompletten Stillstand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens — ein Ergebnis zum finalen Absegnen vorzulegen. Stattdessen spricht man nun von "ab Juni diesen Jahres" wenn es um eine endgültige Entscheidung zur Vergabe der Übertragungsrechte geht. Auch wenn ein Aufschub um ein Monat auf dem ersten Blick nicht viel aussieht, könnte sich diese Entscheidung als ein durchaus intelligenter Schachzug herausstellen: Die aktuellen Umsatzeinbußen und vor allem kurzfristigen Liquiditätsengpässe sind sicherlich schmerzhaft und wird einige Unternehmen im Sport und in anderen Wirtschaftszweigen die Existenz kosten, aber die enorme Unsicherheit über die Länge des aktuellen Ausnahmezustands und die damit verbundene fehlende Planbarkeit sollte den negativsten Einfluss auf die Höhe der Gebote haben. Innerhalb eines Monats kann weitere, enorm wertvolle Klarheit rund um die Coronakrise geschaffen, auch wenn eine Rückkehr zur Normalität immer noch Monate entfernt wäre.
Eine kurze Einschätzung, wie sich COVID-19 sowohl kurzfristig als langfristig auf die Sportmedien im Allgemeine und OTT im Speziellen auswirken wird, habe ich in einem Gastbeitrag für Unofficial Partner geschrieben — als Lead-In für das eigentliche Thema der Kolumne: mein Review des SportsPro OTT US Summits in Atlanta am Anfang des Jahres.
Da die DFL dann kurz nach dem Versenden der Ausschreibungsunterlagen auch endlich und etwas verspätet das grüne Licht für das angedachte Vermarktungsmodell, welches ich im Blog #39 (Ten Takeaways from Bundesliga’s Proposed Media Rights Tender for 2021/22 to 2024/25 Season) näher betrachtet habe, von dem Bundeskartellamt bekam, läuft zumindest bislang alles nach (dem angepassten) Plan.
Mit der rechtlichen Genehmigung des Ausschreibungsprozesses der Fußball-Bundesliga (2021/22-24/25) durch das Bundeskartellamt, dessen Eingreifen durch die monopolistische Natur einer nationalen Zentralvermarktung — im Vergleich dazu bietet die Eigenvermarktung durch die jeweiligen Vereine wie sie beispielsweise weiterhin in Portugal sowie Mexiko stattfindet oder dem Fall des Single-Entity-Status der nordamerikanischen Major League Soccer weitaus weniger Angriffsfläche aus kartellrechtlicher Perspektive — von Nöten ist, wird nun auch in Kürze das große Wettbieten um die wertvollsten Sportübertragungsrechte in Deutschland beginnen können.
Vielmehr stellt sich allerdings die Frage, ob auch unabhängig der aktuellen Situation rund um COVID-19, eine Korrektur bei den gezahlten Rechtesummen von Nöten ist bzw. gewesen wäre, um den "Sport/Medien-Komplex", die jahrzehntelange symbiotische Beziehung zum Vorteil aller Beteiligten, wieder auf gesunde und nachhaltige Beine zu stellen?
Europäischer Vergleich: Korrektur in Großbritannien, Aufschließen der Ligue 1 und wohl möglich ein Spiel auf Zeit in Spanien und Italien
Die englische Premier League, die trotz der erstmaligen Involvierung eines nordamerikanischen Technologiegiganten sowie der Verlängerung mit ihren traditionellen Medienpartnern im aktuellen Zyklus einen Rückgang der jährlichen Rechtesummen um 9,6% auf dem Heimatmarkt verbuchen musste, wäre ein offensichtlich negativer Vorbote für sowohl die Bundesliga als auch den anderen europäischen Big-Five, die zeitnah den Vermarktungsprozess für die nächste Rechteperiode starten werden: Serie A (2021/22-23/24) und La Liga (2021/22-23/24). Da weder die italienische und spanische Liga im Vergleich zur DFL allerdings noch keine konkrete Timeline kommuniziert hatte, ist zunächst ein Versuch des Aussitzen der Coronakrise ein plausibles Szenario für diese beiden Ligen.
Die Premier League ist als Branchenkrösus natürlich von einem enorm hohen Niveau gefallen. Ein fast 10-prozentiger Rückgang auf "nur noch" £1,6 Mrd. pro Saison auf dem traditionell starken britischen Pay-TV Markt ist dennoch signifikant und besorgniserregend für Rechteinhaber — und das trotz des lange erhofften Einstieg einer Vertreters aus "Big Tech" sowie der erheblichen Ausweitung des Inventars an vermarkteten Live-Spielen um 25% auf 200 Spiele pro Saison. Anders gesagt: Die durchschnittlich gezahlte Rechtesumme pro Spiel ist um einiges mehr als die 9,6% gefallen.
Nichtsdestotrotz hat sich der Versuch, eine eventuell sinkende Marktnachfrage (= Zahlungsbereitschaft für bisheriges Angebot) mit einem größeren Angebot zu (über-)kompensieren (= zusätzliches Inventar an Live-Spielen und/oder Übertragungsfenstern), zuletzt als Go-to-Market Strategie für Rechteinhaber herauskristallisiert. Die UEFA bzw. deren exklusiven Vermarktungsagentur für die europäischen Vereinswettbewerbe TEAM Marketing konnte mit dieser Strategie und der damit einhergehenden Einführung der UEFA Europa Conference League beeindruckende erste Ergebnisse für den nächsten Rechtezyklus (2021/22 - 23/24) erzielen — auch wenn es sich dabei um strategisch gewählte Märkte handelte, in denen ein positives Ergebnis erwartet werden konnte: Die Erfolgssträhne in den USA (Turner Sports / Univision: +52,5%), Großbritannien (BT Sport: +1,5%) und Deutschland (Amazon / DAZN / RTL Mediengruppe: +65,1%) wird jedoch schon zeitnah in deutlich komplizierteren Märkten in Südeuropa und zu einem späteren Zeitpunkt besonders in Asien auf die Probe gestellt werden.
Wie die folgende Analyse aus dem vergangenen Jahr zeigt, haben die Serie A (+13,8%) und La Liga (+13,8%) ein wohl gesünderes Wachstum (10-20%) der inländischen TV-Einnahmen aufgewiesen als der explosionsartige und wohl möglich nicht nachhaltige Anstieg bei der Premier League und Bundesliga. Schlussendlich war zumindest bei der englischen Liga eine Marktkorrektur unvermeidbar. Ob der nun angelaufenen Vermarktungsprozess für die Bundesliga letztendlich in einer Korrektur, Stagnation oder einem weiteren Anstieg enden wird, ist völlig offen.
Für meine bereits vor fast zwei Jahren aufgestellten These der Konvergenz der Medieneinnahmen auf dem Heimatmarkt unter den europäischen Big-Five und der internationalen Vermarktung als zukünftiges Differenzierungsmerkmal, könnten die nächsten Monate jedoch weitere Argumente liefern — vor allem im Fall einer Stagnation in Deutschland, Italien und Spanien. Dabei sind die Prognosen, ob oder ob nicht das imposante sportarten-übergreifende Wachstum der Medienrechtesummen der letzten Dekade weitergeht, vielfältig:
👍🏼 Was dafür spricht:
Sport ist eine der letzten Bastionen des Live-TVs in einem Markt für Bewegtbildinhalte, die mittlerweile durch “On-Demand Content” geprägt ist bzw. Teil einer generellen "On-Demand Economy" geworden ist. Das sollte dazu führen, das vor allem der relative Wert der hochwertigsten Sportwettbewerbe, die sich im heutigen Überangebot an digitalen Unterhaltungsmöglichkeiten und dem damit einhergehenden "Information-Overload" weiterhin beachtlich halten können, weiterhin steigern sollte: Die Frage ist, ob eine weiterhin steigende relative Bedeutung auch in einer erhöhten finanziellen Bewertung in absoluten Zahlen führt. Gleichzeitig scheint damit eine zunehmende Divergenz der gezahlten Rechtesummen von diesen absoluten Premiumrechten und Sekundär- bzw. Nischenrechten im Sport einhergehen. Folgt man dieser Logik, könnte es schon bald keine "Mittelklasse" bei den Medienrechten mehr geben.
👎🏼 Was dagegen spricht:
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind die Rechtekosten schon heute zu hoch, um damit als Rechtehalter ein nachhaltiges Geschäftsmodell betreiben zu können — sowohl für etablierte "Legacy Media Businesses" als auch neue "OTT Player": Die ausgeklügelten Monetarisierungsmodelle des traditionellen Pay-TV (z.B. Triple-Play von Telekommunikationsunternehmen) müssen sich zunehmend dem Druck der Endkonsumenten beugen, die sich durch Angebote wie Netflix oder Spotify an einen neuen Grad an Flexibilität und Bezahlbarkeit gewöhnt haben. Das Level der Monetarisierung des Endkonsumenten (= Avg. Revenue per User) ist folglich im freien Fall. Jedoch sahen sich (temporäre) Rechtehalter wie Sky PLC bereits zuvor alle drei bis fünf Jahre einem Dilemma gegenübergestellt: die Gefahr des Verlusts der Sportübertragungsrechte und somit der gesamten Existenzgrundlage für viele sportfokussierte Medienunternehmen, was die aktuelle Coronakrise sinnbildhaft belegt, oder ein signifikanter Anstieg der Kostenseite, die auf der Umsatzseite immer schwerer wird wieder aufzufangen.
Obwohl die Profitabilität des traditionellen Pay-TV im freien Fall ist, schienen kostendeckende oder sogar minimal profitable Operation möglich — besonders zum Ende von Rechteperioden.
Die "OTT Economics" hingegen sind nochmal um ein Vielfaches herausfordernder: Im digitalen Bereich bewegen sich fundamentale Kennzahlen wie Kundenakquisitionskosten (CAC), Umsatz pro Kunde (ARPU), Verbleibquote (Churn) und Customer Lifetime Value (CLV) nämlich im Vergleich zur analogen Vergangenheit aus Unternehmenssicht nämlich nochmal in die komplett falsche Richtung.
Wenig attraktive "Economics" im OTT-Bereich im Vergleich zum Pay-TV
Grundsätzlich ist es wichtig zu differenzieren, dass "OTT" sowohl eine Distributionstechnologie als auch ein Geschäftsmodell beschreiben kann. Eine Einführung von OTT als Distributionstechnologie ist aufgrund der Fragmentierung von Audienzen über unterschiedliche Distributionsmedien (anstatt der historischen Konzentration von Audienzen im analogen TV-Distributionssystems) für alle Unternehmen mit Bewegtbildinhalten mittlerweile alternativlos geworden, um einen möglichst großen Anteil der jeweiligen Zielgruppen zu erreichen: "Fish where the fish are." Die Antwort auf diese seit ca. 2010 existierende Herausforderung lautete "TV Everywhere". Es machte den linearen "TV-Content" von überall und allen Endgeräten (z.B. Desktop, Tablet, Smartphone) zugänglich. Selbst im Fall von Live-Inhalten, die im Vergleich zu On-Demand-Inhalten eine ungleich größere technologische Herausforderung bezüglich Verlässlichkeit, Qualität und Latenz darstellen, wird diese OTT Streaming - Technologie immer stabiler und kosteneffizienter. Die aktuell noch zum Teil bestehende Differenzierung zwischen den Technologielösungen wird über Zeit abnehmen und in Richtung eines Industriestandards konvergieren — und sich mittelfristig zu einer reinen Commodity mit einem sehr limitierten Differenzierungspotenzial entwickeln wird.
Die wirkliche Herausforderung sowie Komplexität (und damit Differenzierung) stellt hingegen das Geschäftsmodell dar, welches mit OTT einhergehen kann und von dem Konzept von "TV Everywhere", welches weiterhin ein traditionelles Pay-TV Abonnement als Grundlage der Kundenbeziehung vorsieht, zu unterscheiden ist. Neben dem Monetarisierungsmodell, welches die größte Challenge darstellen wird, befinden sich die Komplexität und Veränderungen im Rahmen eines OTT-Geschäftsmodell vor allem vor (z.B. Rechteakquisitionsstrategie, Analyse von Nutzungsdaten der Abonnenten, Marketing- und Promotionsaktvitäten, On-/Off-Plattform Discovery, Recommendation Engines) und nach (z.B. Abonnenten-Management/-Engagement/-Retention) dem eigentlichen Live-Event.
Anders als im traditionellen Pay-TV haben sich diesbezüglich noch keine Best Practices im OTT-Bereich etabliert und der Großteil der alleinstehenden Streamingangebote im Sport befinden sich in einer Experimentierphase — während man unter finanziell kaum nachhaltigen Umständen operiert. Während die Kosten für Rechteakquisitionen konstant bleiben bzw. aus Sicht der originären Rechteinhaber ihr imposantes Wachstum der letzten Jahre idealerweise sogar weiter fortsetzen sollen, steht das Verhältnis von "Customer Acquisition Cost" (CAC) und "Customer Lifetime Value" (CLV) nun in einem weitaus weniger gesundem Verhältnis für Rechtehalter:
Am Anfang des Marketing-Funnels ("Top-of-Funnel") hat die Proliferation von medialen Inhalten im Internet zu einem enormen Wachstum auf der Angebotsseite im OTT-Bereich gesorgt, was zu einem erheblichen (Preis-)Premium für die Discovery geführt hat. Unter Annahme einer erfolgreichen Discovery und Konvertierung des potenziellen Kunden zum Abonnenten findet man am Ende des Funnels ein dürftiges Level an Monetarisierung der oftmals teuer eingekauften Kunden: Hyper-aggressives Pricing, die ständige Konkurrenz von anderen Angeboten um die Aufmerksamkeit und finanziellen Mittel des Kunden kombiniert mit dem Umstand, dass das Kündigen des Abonnements nur einen Klick entfernt ist, machen die Herausforderungen der "OTT Economics" schnell deutlich — besonders im Vergleich zum traditionellen Pay-TV und deren überteuerten, langfristigen Verträgen mit monatlichen Rechnungen im teilweise sogar dreistelligem Bereich, dem physischen TV-Receiver im Wohnzimmer und schwer einer oftmals erreichbaren Service-Hotline.
Die weniger attraktive Monetarisierung des reinen Arbitragegeschäfts der Vergangenheit, bestehend aus der Akquise (von Übertragungsrechten) und dem Weiterverkauf (von Live-Sportprogramm), resultiert nun besonders mit dem Geschäftsmodell "OTT" entweder in einem Geschäft mit weitaus niedrigeren oder überwiegend sogar negativen Margen. Zur Lösung dieser Herausforderung wird das Monetarisierungsmodell im OTT-Bereich langfristig weitaus diversifizierter aufgestellt und neue bzw. innovative Erlösquellen werden aktiviert werden müssen, um auch nur annähernd an das bisherige Umsatzniveau erreichen und dementsprechend weiterhin die aktuellen Rechteakquisitionskosten zahlen zu können: ein Ökosystem an Erlösquellen mit dem Live-Sportprogramm als befähigendes Kernelement ("Featurization of Sports"). Die Integration von sportnahen Angeboten wie Sportwetten, Merchandising oder dem Ticketverkauf sind dabei genauso valide Optionen wie komplett beziehungslose Produkte wie Hardware (z.B. Apple) oder dem generellem E-Commerce (z.B. Amazon) und werden das Service-Bundle der Zukunft bilden. Vor dem Hintergrund der beschriebenen negativen Implikationen auf die Monetarisierung für Rechtehalter im Fall des aktuellen dualen Erlösmodells (Abonnementgebühren + Werbeeinnahmen) vieler Rechtehalter ist es keine Überraschung, dass der langsame aber unaufhaltbare Shift von Content, und somit leicht zeitverzögert den Audienzen hin zu einem OTT-basierten Business Model keine freiwillige Entscheidung der Rechtehalter ist. Vielmehr ist es eine Folge der Machtverschiebung entlang der Wertschöpfungskette zugunsten der Endkonsumenten und deren neuen Anforderungen an Flexibilität und Bezahlbarkeit.
Dass sich das Investment in ein Asset (hier: explosionsartige Anstieg von Rechtesummen für Übertragungsrechte) durch die damit verbundenen Monetarisierung langfristig nicht mehr rechtfertigen lässt, ist schlussendlich die Definition einer Blase. Dass diese bislang noch nicht geplatzt ist, hat sicherlich auch damit zu tun, dass Rechteinhaber bislang alles dafür getan haben, um aktuelle sowie zukünftige (Medien-)Rechtehalter zu priorisieren und deren Anforderungen gerecht zu werden (z.B. Anstoßzeiten, weitere Übertragungsfenster) — zum Schutz bzw. zur Aufrechterhaltung des Wachstums ihrer mit Abstand wichtigsten Einnahmequelle: Medieneinnahmen.
Wenn zukünftig aber selbst im Fall einer "medialen Überkommerzialisierung" das aktuelle Level an Rechtesummen nicht aufrechterhalten werden kann, ist eine größere Marktkorrektur, die das gesamte Sportmedienökosystem im Interesse aller Beteiligten (= Rechteinhaber + Rechtehalter + Fans) wieder auf nachhaltige Beine stellen und die gesellschaftliche Relevanz wahren könnte, die eigentlich beste Option?
Zudem stellt sich die Frage, warum Sportinhalte eigentlich derart wertvoll bzw. teuer (je nach Auge des Betrachters) geworden, dass eine Refinanzierung durch die Rechtehalter und Bezahlbarkeit für die Fans in immer weitere Ferne gerückt ist?
(Live-)Sport als wichtigstes Genre im Kampf um Aufmerksamkeit der Zuschauer
Der Sport hat sich in letzten Jahrzehnten als das wohl wertvollste Genre in der Medienindustrie etabliert. Dabei ist der Sport immer wieder auch Treiber von technologischen Innovationen gewesen. Als Folge von solchen Innovationen folgte die wiederholte Ersetzung von amtierenden Rechtehaltern durch neue Marktteilnehmer mit überlegenden Geschäfts- und dabei vor allem Monetarisierungsmodellen — steigende Lizenzgebühren für Rechteinhaber war die unvermeidliche Konsequenz.
Die wesentlichen Entwicklungen lassen sich grob in drei Phasen einteilen:
Phase 1️⃣ (1930-1990):
Medialisierung von Live-Sportevents durch lineares Free-TV [Rechtehalter als dominanter Player im Sportmedienökosystem]
Die erste Medialisierung von Live-Sportevents durch lineares Free-TV mit öffentlich-rechtlichen (ab 1930; Abgabenfinanzierung) und später privat-kommerziellen (ab 1970; Werbefinanzierung) Sendern als wesentliche Distributoren macht Fernsehen zum führenden Massenmedium. Rechteinhaber sind über die neue mediale Sichtbarkeit und gesellschaftliche Relevanz erfreut und bezahlen übertragende Rechtehalter in den Anfangsjahren sogar für die TV-Übertragung — selbst als Erstere begannen allmählich in Form von Rechtesummen an dem Erfolg der TV-Sender zu partizipieren, war die Monetarisierung der Reichweite gegenüber der werbetreibenden Industrie ein attraktives Geschäft für die öffentlichen-rechtlichen und später vor allem privat-kommerziellen Sender.
Phase 2️⃣ (1990-2016):
Live-Sportevents als Treiber zur Etablierung neuer Monetarisierungsmodelle durch Pay-TV und Abnahme der Konkurrenzfähigkeit des linearen Free-TV bei hochkarätigen Sportinhalten [Rechteinhaber als dominanter Player im Sportmedienökosystem]
Die Machtverhältnisse entlang der Wertschöpfungskette verschieben sich zunehmend zugunsten der Rechteinhaber. Besonders mit der Etablierung des Pay-TV und dem damit einhergehenden "Dual-Revenue Stream" - Modell aus Werbeeinnahmen und Abonnementgebühren schießen die gezahlten Rechtesummen in neue Dimensionen. Die Marktpenetration jenes Kabel- und Satelliten- Pay TV wurde vor allem durch exklusiven Live-Sport als strategischer Abonnententreiber forciert — zuerst in Nordamerika (ESPN ab 1979) und kurz danach auch in Europa (Canal+ ab 1984) sowie Deutschland (Premiere ab 1990). Besonders für sekundäre Sportarten, also in Europa vor allem Sportarten abseits des Fußballs, entwickelte sich schnell ein Trade-Off zwischen einer kurzfristigen Erlösmaximierung und einer langfristig abnehmenden Relevanz bzw. Interesse der Fans aufgrund fehlender medialen Sichtbarkeit im gesellschaftlichen Mainstream, die sich mittelfristig oftmals in einer Stagnation oder sogar sinkenden Medienerlösen widergespiegelt hat.
Phase 3️⃣ (2016-heute):
Erosion des traditionellen Pay-TV zerstört das hochprofitable Umsatzmodell von Rechtehaltern im Sport. Das neu verfügbare bzw. befreite Einkommen wird neu verteilt und die Konsumenten treffen proaktive Entscheidungen [Endkonsumenten als dominanter Player im Sportmedienökosystem]
Traditionelle Sportmedienangebote geraten zunehmend unter Druck bedingt durch die Fragmentierung des Angebots, Preisanstiege bei der Rechteakquisition und neue, konkurrierende Angebote von anderen Content-Kategorien. Neben der Verschiebung der Machtverhältnisse, nun zu Gunsten der Endkonsumenten, die von einer neuen Angebotsvielfalt und dem erhöhten Wettbewerb um deren limitierten Ressourcen (d.h. Aufmerksamkeit, Zeit und verfügbares Einkommen) für nicht-essentielle Produkte/Services profitieren. Es gibt allerdings einen weiteren fundamentalen Unterschied im Vergleich zum Aufstieg des Pay-TV ab 1990:
Der Aufstieg von "OTT" ist mit einer Fragmentierung anstatt der bloßen Verschiebung von Inhalten und dementsprechend Zuschauerschaften (sowie schlussendlich deren Budgets) verbunden. Die Frage ist, ob OTT Streaming, oftmals auch fälschlicherweise mit einem Direct-to-Consumer gleichgesetzt, wirklich ein überlegendes Geschäfts- und Monetarisierungsmodell (wie damals das Pay-TV im Vergleich zum Free-TV) darstellt und weiter ansteigende Rechtesummen zulässt?
Vereinnahmung des verfügbaren Einkommens durch das traditionelle Pay-TV Abonnement
Die Herausforderung für den Endkonsumenten ist, das ein Großteil des verfügbaren Einkommens bislang in das Pay-TV Abonnement investiert wurde.
Die Erosion des traditionellen Pay-TV ist die logische Konsequenz des Bedürfnisses der Endkonsumenten, ihre limitierten Ressourcen (Zeit + Geld) neu verteilen zu wollen: Das US-amerikanische Pay-TV zum Beispiel befindet sich seit dem Hochpunkt in 2013 in einem industrieweiten Abwärtstrend und hat im dritten Quartal des vergangenen Jahres den größten Verlust an Abonnenten innerhalb eines solchen Dreimonatszeitraums hinnehmen müssen: 1,74 Mio. Netto-Abgänge auf mittlerweile nur noch 84,4 Mio. zahlende TV-Kunden — und ein Ende der Erosion des ehemals hochprofitablen Geschäftsmodells (siehe: Blog #40 - Streaming as Problem for Leagues and Fans: Rights Plateau and Ever-Increasing Fragmentation) ist ebenfalls nicht in Sicht: bis zum Jahr 2024 soll es um weitere 21.7% auf nur noch 66,1 Mio. hinuntergehen. Noch besorgniserregender für die Rechteinhaber im Sport: Selbst Pay-TV Sender, die traditionell auf exklusive Live-Sportinhalte als Abonnententreiber gesetzt haben und auch dank des Differenzierungsmerkmals "Sport" als besonders widerstandsfähig gegen dieses sogenannte "Cord-Cutting" galten, haben schmerzhafte Verluste zu verzeichnen: Nationale Marktführer wie Canal Plus (Frankreich, minus 195.000 Abonnenten), Telefònica (Spanien, minus 18.600 Abonnenten) und ESPN (USA, minus 4,5% Abonnenten) konnten sich im jeweils letzten Quartal dem industrieweiten Trend nicht entziehen — und eine schwächelnde Umsatzseite wird sich mittelfristig unvermeidbar auf die Maximalgebote bei Rechteausschreibungen auswirken müssen.
Das Rational auf der Konsumentenseite ist eindeutig: Das Bedürfnis der Neuverteilung dieser langfristig gebundenen finanziellen Ressourcen auf eine noch nie dagewesene Anzahl und Vielfalt an neuen digitalen Angeboten, sowohl im Bereich des Sports als auch neuen, nun konkurrierenden Formaten im Entertainment (z.B. Netflix, Spotify, Youtube, Twitch). Das Problem: Alle diese Subscription-Services buhlen um die gleichen Endkonsumenten und deren limitierten Ressourcen. Eine weitere Herausforderung für Rechtehalter und somit etwas zeitversetzt dann auch für Rechteinhaber ist, dass man sich im digitalen Zeitalter nicht nur einem erhöhten Wettbewerb gegenübergestellt sieht, sondern das traditionelle Pay-TV auch ein enorm attraktives Monetarisierungsmodell war: lange Vertragslaufzeiten, hohe ARPUs, wenig Flexibilität und Alternativen.
Im Vergleich zur USA kann man in Europa noch von einer Stagnation des Marktes für traditionelles Bezahlfernsehen sprechen. Die Frage ist jedoch, ob die USA (wie oftmals bei technologischen Entwicklung) ein Vorbote für das, was Europa und speziell Deutschland erwartet werden kann, ist? Auch bei der Etablierung vom Pay-TV war die USA dem europäischen Kontinent ungefähr zehn Jahre voraus. Deutschland ist traditionell ein komplizierter Markt für Bezahlfernsehen und auch die fest etablierte Free-TV Landschaft aus öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Sendern hat sich historisch eher negativ auf die Zahlungsbereitschaft der Deutschen für kostenpflichtige Angebote ausgewirkt. Nachdem der deutsche Konsument jedoch durch Angebote wie Netflix und Spotify für das Bezahlen für qualitative Medienangebote jedoch zumindest etwas sensitiviert wurde und auch der Pay-TV Market eine Phase des Wachstum in den letzten Jahren erlebt hat, soll der Markt in den nächsten Jahren bei ca. 9 Mio. Haushalten mit Bezahlfernsehen stagnieren. Die zeitversetzte, aber vergleichbare Entwicklung zum US-Markt ist unübersehbar. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sehen sich nun selbst fest etablierte Rechtehalter aus den Reihen der inhalt-produzierenden Sender (z.B. Pay-TV Bundle) oder Telekommunikationsunternehmen (z.B. Quadruple-Play aus Broadband, Mobilfunk, Telefon und TV), die bis zuletzt an komplexen, integrierten (und ehemals hochattraktiven) Monetarisierungsmodellen festgehalten haben, gezwungen den sich veränderten Anforderungen der Konsumenten zu beugen um weiterhin ein halbwegs kompetitives Produkt anbieten und sich zumindest einen Teil des ehemals vereinnahmten Wallet-Shares sichern zu können: "Cord-Shaving/-Shaping anstatt Cord-Cutting". Prominente Beispiele mit einem solchen Strategiewechsel zu mehr Flexibilität (z.B. monatliches Kündigen) und "A-la-Carte" - Optionen (z.B. einzelne Pay-TV - oder Broadband - Services) waren zuletzt beispielsweise bei Verizon (USA) und BT (UK) zu beobachten. Das bedeutet nicht, dass auch das bisherige Angebot weiterhin einen Produkt-Market-Fit für ein gewisses Marktsegment darstellt, die wohl eher überdurchschnittlich alt, einkommensstark und sportinteressiert sind. Um die heterogener werdende Zielaudienz jedoch auch in Zukunft erfolgreich penetrieren (und deren Zahlungsbereitschaft abschöpfen) zu können, ist eine erhöhte Produkt- und Preisdifferenzierung im Vergleich zur homogenen Medienlandschaft der Vergangenheit notwendig — mit "Personalization at Scale" als ultimatives Ziel. Das ist allerdings noch ein langer Weg und einige "Hold-Outs" unter den etablierten Marktteilnehmern halten weiterhin an ihrem bisherigen integrierten Distributions- und Monetarisierungsmodell (d.h. keine "A-la-Carte" - Option, lange Vertragslaufzeiten) fest: Vor allem die Größen aus der nordamerikanischen Pay-TV Landschaft (z.B. ESPN, Fox Sports, beIN SPORTS) sowie Telefònica als dominante Kraft auf dem spanischen Medien- und Telekommunikationsmarkt sind diesbezüglich zu nennen.
Da das Modell des traditionellen Pay-TV jedoch weiterhin den optimalen Produkt-Market-Fit für ein gewisses Kundensegment darstellt, kann man davon ausgehen, dass es einen natürlichen Endpunkt der "Cord-Cutting" - Revolution geben könnte und zumindest auf absehbare Zeit nicht komplett aussterben wird.
Im Kampf zwischen etablierten und neuen Playern auf dem Sportmedienmarkt ist es auch wichtig zu erwähnen — da mittlerweile die Angebote der größten Sportsender über alle Distributionstechnologien (d.h. Kabel-/Satelliten-/IP-TV sowie Streaming) abrufbar sind — dass man "Legacy Media" auch nicht mit linearem Fernsehen assoziieren sollte, sondern mit der über Jahrzehnte aufgebaute "Legacy" in Form von existierenden Umsatzströmen, Infrastruktur-/Overhead-Kosten und Mindset. Diese "Legacy" kann sowohl als Asset (z.B. finanzielle Ressourcen, Produktionsexpertise) als auch Hindernis (z.B. notwendiges Aufgeben von noch ertragreichen aber nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen) bei der Transformation in ein wettbewerbsfähiges Medienunternehmen im digitalen Zeitalter wirken.
Die Sportmedienindustrie befindet sich also in einem tiefgreifenden Wandel, klassische Pay-TV Sender geraten unter Druck und die Entwicklung von einer Content- und Audienzkonzentrierung in der analogen Vergangenheit zu einer Content- und Audienzfragmentierung in der digitalen Welt ist unaufhaltbar. Aus einem Pay-TV Abo werden mehrere OTT Streaming Services — bestehend aus verschiedensten Genres: mehrere Video-, ein Musik- und eventuell sogar ein Podcast-Streamingdienst wird eine immer beliebtere Kombination werden, das sogenannte "OTT Stacking". Was sich jedoch im Vergleich zur Vergangenheit wenig geändert hat, ist, dass exklusive Live-Sportinhalte wieder als attraktives Differenzierungsmerkmal zur Etablierung eines neuen, dominierenden Geschäftsmodells dienen sollen.
Sport mit strukturellen Nachteilen im Kampf um Mind- und Wallet-Share im Vergleich mit anderen Genres
Das fundamentale Problem, welches sich der Sport gegenübergestellt sieht, ist so einfach wie potenziell gravierend: Andere Genres wie die Musik- (z.B. Spotify) und Videoindustrie (z.B. Netflix, Prime Video) haben bessere Antworten auf den erbitterten Kampf um Mind- und Walletshare des Endkonsumenten in der heutigen "Attention Economy": ein Komplettangebot zu einem erschwinglichen Preis und zu flexiblen Konditionen. Wie bereits erwähnt ist die Frage nach der Zahlungsbereitschaft der Generation Y & Z auch in Deutschland keine allgemeine mehr, sondern kann eindeutig bejaht werden, und wird daher zu einer konkreten Frage: Möchte ich einen Teil meines "Wallets" in dieses konkrete digitale Abonnement investieren? Die beeindruckenden Penetrationsraten unter den deutschen Internetnutzern von Diensten mit einer attraktiven Value Proposition wie Prime Video (34%), Netflix (30%) und Spotify (23%) sind die logische Konsequenz. Diese Streaminganbieter sind somit die eindeutiger Gewinner der Neuverteilung des durch die Erosion des traditionellen Pay-TV nun wieder zu verteilenden verfügbaren Einkommens.
Der Grund für die fehlende Konkurrenzfähigkeit der Angebote im Sport wird mit einem Blick auf die Streaming-Landschaft des Gleichen schnell deutlich: Sogar Unternehmen wie DAZN, die öffentlich die Zugänglichkeit (z.B. Distribution in Bars und anderen öffentlichen Einrichtungen) und Erschwinglichkeit (z.B. monatlicher Preis und Kündigung) von exklusiven Sportübertragungen als oberstes Unternehmensziel ausgerufen haben, stehen vor einer fundamentalen Herausforderung: Selbst wenn jeder Rechtehalter wie DAZN ("Bezahlbarkeit ist Teil unserer DNA.") und Rechteinhaber wie die Deutsche Fußball Liga ("Mehr als zwei Pay-TV Rechtehalter sind dem Fans nur schwer zuzumuten.") isoliert betrachtet mit den besten Intentionen handelt, wird wohl jeder Fußballfan bei dem holistischen Blick auf die potenzielle Rechtesituation ab der Saison 2021/22 die Hände über den Kopf zusammenschlagen.
Aufgrund der individuellen Interessenlagen scheint eine solches Ergebnis jedoch unvermeidbar:
Exklusivität wird weiterhin der Schlüssel für Übertragungsrechte sein, um als möglichst effektiver Abonnententreiber für etablierte und vor allem neue Marktteilnehmer dienen sowie die Adaption von neuen Distributionstechnologien forcieren zu können. Wenn alle "Player" diese gleiche Strategie verfolgen, ist eine dementsprechend fragmentierte Rechtelandschaft vorprogrammiert, denn Fakt ist auch, dass (bis zu einem gewissen Grad) eine solche Fragmentierung der Umsatzmaximierung durch die Rechteinhaber zu Gute kommt. Und die Dachgesellschaften wie die DFL oder Premier League agieren als Interessenvertretung der internen Stakeholder und werden sich daher voll in den Dienst der Vereine (und deren kurzfristig orientierten Interessen) stellen müssen: aufgrund der bereits erwähnten Zentralvermarktung. Der wahrscheinliche Verlierer: der (deutsche) Fußballfan.
Komplett alternativlos sind Fußballfans im Speziellen und Sportfans im Allgemeinen jedoch auch nicht: Dass 1,9 Mio. Deutsche regelmäßig auf illegale Live-Streams zurückgreifen spricht eine deutliche Sprache. Piraterie wird mittlerweile vermehrt als die größte Gefahr für das Sportmedienökosystem bezeichnet. Dass man Piraterie jedoch nicht durch ein endloses "Katz-und Maus-Spiel" in Form von dem Abschalten illegaler Streams effektiv bekämpft, sondern durch ein Produkt, welches den Konsumenten gar keinen Anreiz mehr gibt, auf derartige Alternativen auszuweichen, scheint noch nicht bei allen Rechteinhabern und Rechtehaltern angekommen zu sein. Jedoch war beispielsweise auch in der Musikindustrie ein ebenfalls unter anderem durch Piraterie initiierter Rückgang der traditionell dominierenden Erlösquelle (= physische CDs) um 74% und eine generelle Marktkorrektur über alle Erlösquellen hinweg um 56% notwendig, bevor Rechteinhaber (d.h. Musiker, Musiklabels, Songwriter) gewillt waren, das neue Distributions- und vor allem Geschäftsmodell "Streaming" mit zumindest (halb-)offenen Armen anzunehmen. Unter keinen Umständen gehe ich von Umsatzeinbußen in diesem Ausmaße im Sportrechtemarkt aus, auch weil besonders die absoluten "Leuchtturmrechte" im Zeitalter vom "Information-Overload" nochmal an relativer Bedeutung für Vertreter aus der Medienindustrie gewinnen sollten und damit das finanzielle Downside-Potenzial für den Gesamtmarkt limitiert sein sollte. Das wird zwangsläufig aber auch zu einer zunehmenden Divergenz in der Bewertungen von den größten und allen anderen Sportrechteinhabern führen.
Gleichzeitig würden die Rechteinhaber im Sport vor dem Hintergrund der enormen Fixkosten in der Sportindustrie wohl nicht auf eine derart drastische Korrektur wie ihr Pendant aus der Musikindustrie warten, um über Alternativen nachzudenken bzw. nachdenken zu müssen.
Jedoch werden kurzfristig vor allem die Rechtehalter unter Umsatzeinbußen durch Piraterie leiden und der Initiator von fundamentalen Veränderung bei der Kommerzialisierung von Sportmedienrechten sein müssen — mit beIN SPORTS als sicherlich prominenteste und führendes Beispiel. Mittelfristig würden sich zwangsläufig aber auch die Rechteinhaber nicht der Verantwortung entziehen können, möchte man das aktuelle Level an Medieneinnahmen auch zukünftig nur annähernd aufrechterhalten. Das multi-territoriale Sendernetzwerk aus Katar hat auch bereits Taten folgen lassen und zuletzt nicht mit der Formel 1 aufgrund aus ihrer Sicht fehlenden Verantwortungsbewusstseins im Kampf gegen beOUTQ verlängert — mit dem jetzigen Wissenstand und den schwerwiegenden Folgen von COVID-19 für die Rennserie zumindest kurzfristig eine enorm vorteilhafte Entscheidung. Zudem hat CEO Yousef Al-Obaidly weitere Rechteinhaber wie die italienische Serie A aus dem eigenen Portfolio öffentlich für deren Passivität an den Pranger gestellt.
Ein wirklich effektiver und nachhaltiger Kampf gegen die Piraterie wird jedoch nur mit einer attraktiveren Product Proposition möglich sein. (siehe: Spotify)
Dies wirft natürlich die Frage auf, ob diese "attraktive Product Proposition" unter den aktuell gezahlten Rechtesummen überhaupt möglich ist. Denn Fakt ist, dass die Rechteverwerter die Kosten — idealweise mit einem Gewinnaufschlag — durch eine gewisse Paketierung und Bundling lediglich an die Endkonsumenten weitergeben. Da für das aktuelle Produktangebot jedoch die Zahlungsbereitschaft und/oder die verfügbaren Ressourcen drohen, immer geringer zu werden, springt ein profitables Geschäft für Rechtehalter dabei immer seltener heraus.
Sollten die Rechteinhaber also zur Wiederherstellung eines gesunden Ökosystems eine (temporäre) Preiskorrektur in Kauf nehmen? Auch die Musikindustrie konnte mit einem (kurzfristigen) Schritt zurück, (mittelfristig) zwei Schritte nach vorne machen und fortan kontinuierliches, durch Streaming getriebenes Marktwachstum erzielen.
Gesundes Ökosystem als "Must-Have" für die Sportindustrie
Eine gesundes Ökosystem sollte eine nachhaltige Win-Win-Win Situation für Rechteinhaber, Rechtehalter und Konsumenten ermöglichen.
👨👩👧👧 Zugang und gesellschaftliche Relevanz: Wenn Sportinhalte vermehrt hinter unüberwindbaren Bezahlschranken verschwinden, wird sich das zumindest mittelfristig auf den Wert von Sportrechten für die Medien auswirken. Mainstream-Interessen der Gesellschaft verschieben sich und das Monetarisierungspotenzial schwindet nicht nur aufgrund des sich verändernden Geschäftsmodells sondern zusätzlich aufgrund eines kleineren adressierbaren Marktes.
💰 Nachhaltiges Geschäftsmodell: Aktuell gezahlte Rechtesummen können nur in den seltensten Fällen direkt refinanziert werden, sondern basieren derzeit auf unterschiedlichsten Annahmen und vor allem Hoffnungen. Manchmal ist die Strategie so einfach wie, dass man als Rechtehalter in Folge einer Marktkonsolidierung einer von wenigen übrig gebliebenen Playern sein wird und über entsprechende Markt- und Preismacht verfügt — was alleine jedoch nicht die fundamentale fehlende Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Unterhaltungsalternativen lösen würde. Alternativ werden die aktuellen Rechteakquisitionskosten beispielsweise durch andere Geschäftsbereiche quersubventioniert: Aber sind diese Player wirklich großflächig an Sportrechten interessiert? (Spoiler - Alert)
⚔️ Konkurrenzfähiges Produktangebot: Das Level der Rechtesummen und -fragmentierung wirkt sich unmittelbar auf die bestmögliche Value Proposition (z.B. Preis, Umfang) der Rechtehalter aus.
🏴☠️ Piraterie: Das fundamentale Problem der Piraterie ist nicht die Existenz von illegalen Angeboten, ein Problem welches man in absehbarer Zukunft ohnehin nicht effektiv und grundlegend aus der Welt schaffen wird können, sondern die offensichtlich fehlendende Attraktivität der existierenden legalen Angebote der Rechtehalter. Spotify ist wohl das beste Beispiel wie das “Produkt“ jegliche „Piraterie“ eliminieren kann. Aufgrund des tagtäglichen Kampfes gegen den neuesten illegalen Stream liegt der Fokus derzeit jedoch nicht darauf, dem Endkonsumenten das bestmögliche Produkterlebnis zu bieten.
Zusammengefasst muss ein digitales Streamingangebot, um in der aktuellen "Attention Economy" erfolgreich zu sein, die folgenden drei Kriterien erfüllen:
1️⃣ Adressierung und Befriedigung eines wirklichen Bedürfnisses der Endkonsumenten (= Product Proposition)
2️⃣ Attraktiver "Value for Money" des Angebots (= Price Point)
3️⃣ Wirtschaftliche Nachhaltigkeit/Validität des OTT Services (= Sustainability)
Da sich auch in einer "On-Demand Economy" der intrinsische Wert des Contents (= das Live-Event im Sport) als überdurchschnittlich resistent erwiesen hat, ist Kriterium (1) erfüllt: Eine teilweise Verschiebung der Zuschauerschaft raus aus dem analogen Distributionssystem bedeutet nicht, dass es weniger am Sport interessierte "Eyeballs" gibt, diese sind lediglich härter umkämpft und gilt es anders zu monetarisieren. Die Probleme liegen stattdessen in Kriterium (2) und (3). Neben einer allgemeinen, wenn auch temporären Preiskorrektur auf der Kostenseiten der Rechtehalter könnte ein "gesundes Ökosystem" unter anderem die folgenden Charakteristika aufweisen: Aus einem einzigen Distributions- und Monetarisierungskanal wird ein Set an Angeboten werden, welches auf die unterschiedlichen Anforderungen in einer fragmentieren Konsumentenlandschaft und -präferenzen abzielt. Während Exklusivität in der Vergangenheit oberste Priorität hatte, wird das neue Marktumfeld durch (Distributions-)Partnerschaften, Non-Exklusivitäten sowie Produkt- und Preisdifferenzierung geprägt sein, um die maximale Marktpenetration erreichen und Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abschöpfen zu können. Eine volle Risikoübertragung aus finanzieller Perspektive von den Rechteinhaber auf die temporären Rechtehalter, wie es zuletzt in Form von garantierten Rechtesummen ("Minimum Guarantees") die Regel war, könnte zudem seltener werden und ist eine weitere Folge der Verschiebung der Machtverhältnisse: weg von den Rechteinhabern, hin zu einem launischen und fordernden Endkonsumenten. Stattdessen wären "Revenue-Share" - Modelle eine passendere Reflektierung der aktuellen Marktsituation und würden den Umstand widerspiegeln, dass es das "einfache Geld" für die größten Rechteinhaber nicht mehr geben wird und man zukünftig mehr in die Pflicht genommen wird, sollte man das kometenhafte Umsatzwachstum der letzten Dekaden aufrechterhalten wollen.
Alternative ist das Prinzip "Hoffnung": Eigener Streamingservice oder "Big-Tech"?
Die geringere Profitabilität im Direktkundengeschäft (DTC-Business) sowie des Abonnentenmodells im digitalen Zeitalter (Digital Subscription-Business) ist keine Beobachtung, die ausschließlich auf die Teilnehmer im Sportmedienmarkt zutrifft, sondern auf nahezu alle Industrien anwendbar ist: Warby Parker (Eyewear), Dollar Shave Club (Körperpflege), MeUndies (Unterwäsche), und Casper (Bettwaren) sind nur einige Beispiele mit einem positiven, kundenfreundlichen und oftmals disruptivem Image, aber auch herausfordernden Economics — in anderen Worten kann man auch sagen, diese Unternehmen erkaufen sich im Endeffekt besonders im Anfangsstadium ihren Umsatz, Marktpenetration und das Abonnentenwachstum. Das steht natürlich im kompletten Gegensatz zu den derzeit noch garantierten Rechtesummen, die die Rechteinhaber im Sport einnehmen, sich an diese gewöhnt und enorm abhängig gemacht haben, um ihren enormen Block an Fixkosten (v.a. Spielergehälter) zu finanzieren: Sollte irgendein Rechteinhaber tatsächlich einen eigenen Streamingservice in absehbarer als exklusiven Distributions- und Monetarisierungskanal der eigenen Verwertungsrechte in Betracht ziehen, müsste der unvermeidbare kurzfristige Umsatzeinbruch über einige Jahre zwischenfinanziert werden — beispielsweise durch einen Finanzinvestor, der idealerweise neben liquiden Mittel auch weitere Assets (z.B. Produktions- und Marketingexpertise) einbringen kann.
Was also bezüglich der fehlenden kurzfristigen Profitabilität für die externen OTT-Player gilt, würde noch viel mehr auf selbstbetriebene Streamingangebote der Rechteinhaber gelten. Das bedeutet nicht, dass sich einzelne Ligen oder Vereine mit dem Thema eines "Owned & Operated OTT Streaming Service" beschäftigen sollten. Es kann aber nicht den Verkauf der Medienrechte an Drittparteien als primäre Einnahmequelle im Segment "Medienrechte" ersetzen.
Besonders mit der WWE (WWE Network) oder den anderen nordamerikanischen Sportligen (z.B. NBA League Pass, NFL Game Pass) gibt es sogar Vorbilder für den europäischen Fußball, wie eine Koexistenz von externen Medienpartnern und eigenen Angeboten ermöglicht werden kann — auch wenn diese Rechteinhaber strukturelle Vorteile haben, um den Balanceakt zu meistern, den Interessen beider Parteien gerecht zu werden. Kurzfristig, also mindestens die nächsten fünf Jahre, ist die Monetarisierung der Medienrechte durch das aktuelle Modell des Verkaufs an Drittparteien ("Wholesale") alternativlos. Mittelfristig sollte jedoch (alleine zur Absicherung) zumindest eine duale Strategie verfolgt werden, die die Werthaltigkeit des Angebots der Medienpartner weder gefährdet noch verwässert, sondern idealerweise inkrementell agiert (aus Konsumentensicht).
Daher wird der Einfluss von ligaeigenen Streamingangeboten wie dem BUNDESLIGA Pass, LaLiga (Sports) TV oder MyLigue 1 eher evolutionär anstatt revolutionär sein — ob wir langfristig das Endstadium (d.h. exklusive Verwertung der eigenen Premium-Live-Inhalte auf der eigenen DTC-Plattform) dieser Evolution erreichen werden, ist jedoch ungewiss.
Die aktuelle Corona-Krise hat sicherlich nicht zu einer Beschleunigung dieser Evolution geführt: Die aktuelle Situation beweist, dass (im Normalfall) garantierte Rechtesummen so wertvoll wie nie sind und daher auf absehbare Zeit auch die bei Weitem präferierte Option für Rechteinhaber bleiben wird.
Das Problem an der Sache: Potenzielle Bieter werden sich dieser durch COVID-19 wohl möglich gestärkten Verhandlungsposition bewusst sein und das entweder in Form von niedrigeren Geboten oder einem höheren Anteil an leistungsabhängiger und variabler anstatt garantierter Vergütung zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig zwingen Stillstand (d.h. Marktstagnation) oder Krisen (d.h. COVID-19) auch immer zu innovativem Handeln, weshalb ich mir jede Menge Innovation bei den kommerziellen Modellen zwischen Rechteinhabern und Rechtehaltern in den nächsten Jahren vorstellen kann: Revenue Sharing, neuartige Rechtepaketierung, weniger Exklusivitäten, Joint Ventures, oder das zuvor beschriebene "Service-Bundle" sind nur einige Möglichkeiten.
Zu guter Letzt fehlt natürlich noch der übliche Disclaimer bezüglich "Big-Tech": Diese Unternehmen haben sich entweder 1️⃣ bereits wieder zum großen Teil von ihren Ambitionen im hochkarätigen Live-Sport verabschiedet (Facebook, Twitter), 2️⃣ sind noch in der Phase des Experimentieren, haben intern noch keine wirkliche Sportrechte-Strategie entwickelt und könnten in wenigen Jahren entscheiden, dass man mit direkten Akquisitionen auf dem Sportrechtemarkt nichts zu tun haben möchte (Amazon), oder 3️⃣ sind in diesem Zusammenhang noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten (Apple, Google).
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